Berichte

Hier werden Beiträge ehemaliger Heimkinder veröffentlich.



14.07.2015
Bericht von Klaus

Himmel oder Hölle?


Als ich damals ins Kinderheim kam, sah ich als erstes in dem langen Flur ein helles kleines Licht. Und ich fragte mich, ob das jetzt der Himmel ist? Doch schon nach wenigen Tagen wusste ich, dass es nicht der Himmel ist, sondern die Hölle.

Warum? Das will ich in wenigen Sätzen schildern.

Wir hatten damals eine sehr strenge Erzieherin, die nicht nur streng war, nein, sie war bitterböse. Und sie behauptete von sich, sie würde an den lieben Gott glauben. Und das mussten wir dann natürlich auch, und zwar mit aller Gewalt.

Beispiel:
Vor und nach dem Essen mussten wir beten. Und ganz wichtig: dabei waren die Augen zu schließen. Wer die Augen nicht geschlossen hatte, dem geschah das, was mir auch einmal geschah.

Wie beten? Das heißt, sie (die Erzieherin) betet. „Vater unser, der du bist im Himmel“ …, ich schaute während des Gebetes für einen kurzen Augenblick um mich, da bekam ich von der Erzieherin so einen Schlag mit dem Handrücken auf den Mund, dass ich vom Stuhl gefallen bin, und ich hörte nur noch: „Geheiligt werde dein Name, AMEN.“ Danach war es dunkel bei mir. Ich denke mal, dass ich ohnmächtig war oder so was.

Das war ihre Art uns den Glauben nahe zu bringen.

Auch war es ihr ganz wichtig, dass wir sehr sauber sind, und wer das nicht so wollte oder konnte, dem hat sie geholfen.

Beispiel:
Irgendwann hatte ich mal meine Zähne nicht so geputzt, wie sie es für richtig gehalten hat. Da packte sie mich, klemmte mich fest zwischen ihre Beine und ihren Arm, nahm die Zahnbürste, tauchte sie in Salz, riss mir den Mund auf, und schrubbte mir die Zähne so lange, bis das Blut floss. Da waren meine Zähne aber sauber. Und da war ich nicht der einzige. Das hat sie auch dann gemacht, wenn mal jemand ein Schimpfwort gesagt hat. Nur dann kam sie mir der Seife.

Und auch ganz wichtig: absolute Ruhe beim zu Bett gehen und im Bett. Und wehe nicht!

Beispiel:
Hat sie jemanden gehört, kam sie zu demjenigen hin, riss ihn aus dem Bett, zerrte ihn in eine Kammer, wo ein viereckiger Wäschekorb stand, steckte ihn mit aller Gewalt da rein, schloss den Deckel, und danach verschloss sie die Tür von der Kammer. Da musste man dann die ganze Nacht in dem Korb bleiben. Kein Klo, kein Wasser oder sonst was. Wer also "musste", der machte in den Korb. Das hatte zur Folge, das man dann zur Strafe eiskalt abgeduscht wurde und bei der Gelegenheit ganz besonders das Geschlechtsteil sauber gemacht werden musste. Egal ob das weh tat oder nicht.

Und so könnte ich noch eine ganze Menge aufschreiben.
Doch…… Es war kein Himmel! Keine Liebe erfahren und gelernt.
Da kam es dann, dass viele von uns von so einigen Mitarbeiter dieses Heims sexuell missbraucht wurden, was keinem von uns gefallen hat.

Doch wem sollten wir uns anvertrauen?
Dem Heimleiter? Dem Schulleiter?
Heimleiter und Schulleiter waren Brüder und haben uns genauso Gewalt angetan oder missbraucht wie die anderen.

Der Erzieherin, die die „Freundin“ war vom Heimleiter?

Dem Pfarrer, der dem Heim unterstellt war durch die Besitzer des Heims?

Also wem? Und so kam es, dass wir irgendwann die Gewalt und den Missbrauch gar nicht mehr so spürten. Wenn es Schläge gab, weinten wir nicht mehr. Wenn Sexueller Missbrauch kam, waren wir bereitwillig, und hielten es aus. Es kam soweit, dass wir nicht mehr weinten, lachten oder redeten. In uns war es dunkel und kalt geworden, genau wie in einer Hölle.

So, nun kennen sie einen winzigen Teil meiner Geschichte, meines Lebens. Und sie können die Frage „Himmel oder Hölle?“ selbst beantworten.



Bericht von Herrn M.S

 

Bei mir hat das angefangen, als ich ca. 6 Jahre alt war. Da hat Herr M. (Hausmeister) mich mitgenommen auf dem roten Porsche-Traktor. Damals war, nach meiner Erinnerung, am Haupteingang vom Kinderheim links ein Schuppen mit 2 Flügeltüren. Da wurde der Traktor untergestellt. Herr M. sagte zu mir: möchtest du mal selber lenken?? und er hat mich auf seinen Schoß gesetzt. Ich war damals stolz selber zu lenken. Ich durfte den Traktor in den Schuppen fahren und abstellen. Herr M. fing in dem Schuppen an, an meinem Geschlechtsteil zu spielen. Ich weiß nur noch, dass dies sehr weh getan hat. Er ließ dann ab von mir, weil ich geschrieen habe. Das war das erste Mal. Dies hat sich mehrmals an andern Tagen wiederholt. Es gingen wieder einige Tage und Wochen vorbei, bei einer anderen Traktorfahrt musste ich mich ausziehen, er nahm immer wieder meinen Penis in die Hand. Einmal nahm er dann meine Hand und ich mußte sein Glied bearbeiten, bis er sich erleichtert hatte. Dafür durfte ich immer den Traktor fahren. Er ist nie selber in mich eingedrungen. Ich kann jetzt nicht mehr sagen wie oft das mit Herr M. so gegangen ist, aber es geschah immer noch mit 9 Jahren. Missbraucht wurde ich mit 12 Jahren mit Analverkehr von ein paar älteren Jungs aus dem Kinderheim, da konnte ich niemand erkennen, weil sie mich auf dem Boden festgehalten haben. Das war extrem schmerzhaft, und ich habe heute noch Probleme z.b. bei Prostata-Untersuchungen. Ich habe die ganzen Jahre diese Erlebnisse verdrängt, selbst meine Frau hat erst jetzt nach 27 Jahren das von mir erfahren. Die Aufarbeitung wühlt mich sehr auf, aber irgendwie ist es auch eine Erleichterung, dies jetzt alles herauszulassen. Ich hoffe, das viele ehemalige Heimkinder, die auch solche Leiden durchmachen mussten, sich hier öffnen können und hoffentlich dadurch eine Aufarbeitung erfahren.



Gerlinde schreibt

Ich kann mich daran erinnern, dass, wenn Lebensmittellieferungen gekommen sind, wir zum Teil 25kg-Säcke Reis, Mehl und anderes auf den Rücken geladen bekamen und diese dann in den Keller tragen mussten, da haben wir noch im Hauptgebäude gewohnt.

Ich erinnere mich an Übergriffe durch den Heimbäcker, Herrn Müller, bei mir etwa 2x, dann hab ich einen Grund gefunden, da nicht mehr hin zu müssen.
Außerdem gab es Zeiten, wo ich mitbekommen habe, dass der (Herr Müller) Kinder mit nach Hause nahm, hab' mir aber damals nichts dabei gedacht bzw. dachte nur: wie blöd sind die, der ist doch so eklig.

An Übergriffe vom Kinderarzt kann ich mich auch erinnern, mir hat er an die Scheide gelangt, nachdem er Fr. Bt unter einen Vorwand was suchen geschickt hat, ab da hab ich darauf bestanden, nicht mehr alleine im Untersuchungszimmer zu sein.

Geschlagen wurde ich meist von einer Erzieherin Frl. G. Wenn wir nicht schnell genug gegessen haben, kam es soweit, dass sie in die Suppe das andere Essen und schließlich noch den Nachtisch reingeschüttet hat, und dann musste man essen bis zum Erbrechen.

Auf psychischer Ebene wurde ich von der Erzieherin unterschwellig als ein Nichts behandelt. Mir wurde sehr bald klar gemacht, dass ich eigentlich zu nichts wert bin. Z.B. hat sie zu mir am Abend vor der Aufnahmeprüfung zur Realschule gesagt: "Warum willst du das morgen machen? Du schaffst das doch sowieso nicht."

Und es gibt noch einiges mehr:

Mehrmals habe ich miterlebt, dass Detlev von seiner Erzieherin ganz übel behandelt wurde. Einmal stand ich mit meiner Freundin vor deren Gruppe (rein durften wir ja nie). Da kam Detlev Zander den Weg hoch und Frau T. kam zur Tür rausgeschossen, hat ihn an beiden Ohren hochgezogen, ich dachte, jetzt reißt sie ihm die Ohren ab. Mich hat sie erst nicht gesehen, aber ich dachte damals: 'das muss der Teufel sein, von dem sie immer in der Brüdergemeinde reden.'

Ein ander mal war ich auf dem Weg zur Schule (der unterhalb der Gruppe verläuft, in der Detlev wohnte), da hab ich mitbekommen, wie Detlev vor der Haustüre von der Frau einen Schlag ins Gesicht bekam. An diesem Tag habe ich ihn nicht auf dem Schulhof gesehen.

Ebenso habe ich tätliche Übergriffe auch auf andere Bewohner dieser Gruppe mitbekommen, auf die Schwester von Detlev und auch auf meine Freundin. Einmal habe ich unsere Erzieherin gebeten, meine Freundin zu uns zu holen.

Ich habe unseren Heimleiter des öfteren zur Hauswirtschafterin gehen sehen, habe sie auch eng umschlungen erlebt! Und uns haben sie mit Bibelversen vollgestopft, gezüchtigt und bedroht.



Thomas und Andreas

berichten über Zwangsarbeit wie Abbrucharbeiten, Steine auflesen, Stallarbeit vor der Schule!

Körperliche Misshandlungen, Schläge ins Gesicht, Hinterteil mit dem Stock.
An den Ohren ziehen, bis sie eingerissen waren.

Zur Bestrafung in den Keller gesperrt ohne Licht
Essensentzug
Sprechverbot mit anderen Kinder
Ungewöhnliche Untersuchungen beim Kinderarzt
Post wurde geöffnet und zensiert

Andreas hat sexuelle Übergriffe durch den Hausmeister erlebt.

Beide haben nichts mitbekommen was Detlev Zander betrifft, allerdings wurde er auch extrem isoliert von TG.

Thomas
Leidet unter Depressionen und hatte vor Jahren einen Suizidversuch hinter sich. Hat sehr viel verdrängt

Andreas
War wegen Depressionen in Behandlung (nach Suizidversuch)
Auch er hat viel verdrängt.

Beide nimmt das Aufrollen der Geschichte ziemlich mit.



Gedichte von Wolfgang Schulz

Außer mir

Du hast soviel
Heimat in Dir
Sagtest du
Ich erschrak -
Ich war doch außer mir

Als er sie
schlug und
mit irrem Grinsen
aus meinem Versteck mich zerrte -
war ich außer mir

Als sie mich
mit wirren Lügen
brachte in dieses fromme
Haus der Zucht
war ich nie da
dort – war ich außer mir

Als er
mit seinem süßen Gift
und stierem Blick
in meine kindlich’ Seele drang
fand er nur öde Wüste
denn – ich war außer mir

Des Fliehens müde
möcht’ ich endlich nun
nach Hause kommen.
Suche, falle,
finde Nichts,
bin außer mir und fürchte –
ich bin da


Wieder steh ich…

Menschenalte Wiegenklage
stumm gegen den Sturm gebrüllt,
steh ich wieder hoch auf
schaurig schönen Klippen,
brennende Sehnsucht, heißes Verlangen,
des Menschen ew`gen Traum zu leben:

"Du mußt nur wirklich wollen!
Du mußt nur richtig glauben!"
dröhnt das düstere Dämonium.

"Denk an Petrus am Genezareth!
An Moses der das Meer geteilt!"

Sehnsucht und Angst
im ewigen Wechselspiel verletzten Lebens
die mich tragen
und verschlingen.