Täter

Grundlage: http://www.aufklaerung-korntal.de/aufklaerungsbericht/


30.09.2018
Neue Täterliste

Die Täterliste auf der Webseite der Opferhilfe wurde ab 2014 aufgrund von Informationen, die wir von Heimopfern bekommen haben, erstellt. Die Dokumentation, die die Aufklärer im Juni 2018 vorgelegt haben, zeigt, dass es viel mehr Täter gab. In 105 Interviews wurden 81 Namen von Tätern genannt. Manche Täter werden nur in einem Interview genannt, andere Täter werden häufiger genannt.

Spitzenreiter ist der langjährige Heimleiter Werner Bizer, der in 71 Interviews  der Ausübung exzessiver körperlicher und psychischer Gewalt beschuldigt wird (S. 272).

An zweiter Stelle steht eine langjährige Gruppenleiterin mit 49 Nennungen überwiegend psychischer Gewalt.

An dritter Stelle steht der langjährige Hausmeister Fritz Merkle, der in 30 Interviews sexualisierter Gewalt beschuldigt wurde.

Da die Täter immer wieder, zum Teil über viele Jahre, Gewalt gegenüber ihren Opfern ausgeübt haben, ist die Zahl der Taten um ein vielfaches höher.

Die hohe Zahl der Täter zeigt, dass es sich nicht um Einzeltäter handelte, die von der Leitung und von den Kollegen unbemerkt Gewalt ausgeübt haben. Die Aussagen der wenigen, die es gewagt haben, ihren Eltern davon zu erzählen, lassen keinen Zweifel daran, dass die Praxis der Gewaltausübung allgemein bekannt war und gebilligt wurde.

Haben Angehörige sich bei der Heimleitung beschwert, wurde das Kind noch härter angefasst. In einem Fall des sexuellen Übergriffes wurde dem Kind klar gemacht, dass da nichts war. Das Kind wurde als Lügner hingestellt (S. 324).

Es war also nicht nur allgemein bekannt, dass Gewalt ausgeübt wurde, man hat auch zusammengewirkt, um die Gewalt zu vertuschen. Eine Erzieherin, die selbst keine Gewalt ausgeübt hat, erwiderte auf eine Beschwerde „was soll ich machen?“ (S. 324)

Besonders gravierend ist dieser Vorfall: Ein Heimkind beklagte sich über sexualisierte Gewalt durch den Hausmeister.  Er wurde dafür nacheinander vom langjährigen Heimleiter mit dem Rohrstock und von der langjährigen Gruppenleiterin mit dem Teppichklopfer auf den nackten Hintern brutal geschlagen (S. 326). Dieser Vorfall, der sich zwischen 1963 und 1972 abgespielt hat, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Leitung der Brüdergemeinde. 

In einem Protokoll des Vorstandes von 1961 - Teilnehmer unter anderen der langjährige Heimleiter und Pfarrer Grünzweig - geht es um den Verdacht, dass der Hausmeister „möglicherweise mit schulpflichtigen Knaben in unerlaubte Beziehungen getreten ist“. In der Dokumentation werden in Auszügen aus den Protokollen die Argumente, die der Vorstand diskutiert hat, wiedergegeben. Der Hausmeister wird streng ermahnt, er muss aus dem Heim ausziehen. Er bleibt aber trotz einer von ihm ausgesprochenen Kündigung Hausmeister ( S. 131 ff.). 

Ab jetzt werden die Opfer unter einem Vorwand aus dem Unterricht geholt.

Jahre später meldet ein anderer Junge sexuelle Gewalt durch den Hausmeister. Der Heimleiter und eine Gruppenleiterin reagieren mit brutalen Stockschlägen auf die Anschuldigungen eines Heimkindes gegen den Hausmeister. ( S. 326 ).

Weder der Vorstand noch Pfarrer Grünzweig haben den ersten Verdacht oder die spätere Beschuldigung zum Anlass genommen, mit den Kindern zu sprechen und die Vorwürfe aufzuklären. Es gab nur Prügel für die Kinder.

Ein Täter, der nicht an der Spitze der Nennungen steht, muss noch erwähnt werden. Der geistliche Vorsteher der Brüdergemeinde. Pfarrer Grünzweig, war nicht aktiv im Kinderheim tätig, bestimmte aber kraft seiner Autorität das Klima und das Menschenbild im Kinderheim.

Ein Heimkind berichtet aus dem Konfirmandenunterricht: „Der Pfarrer war nur angstmachend, erzählte nur vom Krieg und Fegefeuer. Wir seien Teufelsbrut. Er schlug auch im Konfirmandenunterricht zu, der fand auch im Heim statt.“

Ein anderes Heimkind: “Er sagte immer es sei Gottes Strafe, dass wir im Heim sind.“ (S 312).

Diese von oberster Stelle vorgegebene Meinung findet man durchgehend bei den Erziehern bis hin zum hauswirtschaftlichen Personal. Da Gott selbst nicht zuschlug, vollzogen die Erzieher und das Personal eigenhändig „Gottes Strafe“, nicht nur mit körperlicher Gewalt, auch mit psychischer Gewalt.

Betroffen von dieser „Gottes-Strafe“ waren vor allem Kinder, die sich dem religiösen Zwang widersetzten.

In privaten Gesprächen hört man heute noch oft den Satz aus der Bibel: Wer seinen Sohn lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten. Haben die Täter daraus die Rechtfertigung der Gewalt abgeleitet?

Was ist das für ein Gott, der Kinder für die Sünden ihrer Eltern straft? So hart und unerbittlich, dass die Kinder ein Leben lang darunter leiden?

30.09.2018
Dr. Ludwig Pätzold